Gedichte
   
   
   
   
   
 

Berliner Gedichte

Aus dem Arabischen von

Leila Chammaa

Qasim Haddad

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Helllichter Tag

Ein Tag, kurz vor dem Erwachen
die Sonne geleitet einen frischen Morgen
Menschen, die all jene Brücken errichtet haben,
sehen müde aus und alt von der vielen Arbeit.
Ein neuer Tag erwacht,
so erholt und strahlend,
dass eine Sonne kaum auszureichen scheint.

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ÔÙÇíÇ
Körperfetzen

Unmöglich zu beschreiben
das Bild eines Menschen, der seine Körperfetzen aufsammelt
vom Balkon
zwischen Petersilienpflanzen
und strömender Lava,
die sich ergießt
uneingedämmt, ohne Ziel und völlig sinnlos.

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ÇÓÊÛÇËÉ
Hilferuf

Schreie
es sind die Wurzeln der Bäume,
die im Verborgenen nach Wasser rufen.
Aber wer nimmt sie noch wahr
außer dem Wasser?
Und wer sorgt dafür,
dass der Lebenssaft in die Zweige gelangt?
Schreie, die das Herz ergreifen,
einen um den Verstand bringen.

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ÇáäÇÝÑ
Ausbruch

Von einer Insel musst du stammen,
um zu spüren, wie bedrückend es ist, 
wenn das Meer sich von deinem Wohnort entfernt.
Ein wenig vergehen musst du in geduldigem Warten,
damit dir der Aufenthalt in der Ferne nicht zur Verbannung wird,
während die heimatliche Insel dich vor Angriffen schützt
aber auch zu Reise und Abenteuer verlockt,
ohne dich je zu vergessen.
Auf dass du hinausziehst,
zum Ausbruch bereit.

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ÍßãÉ ÇáÔÌÑÉ
Die Weisheit der Bäume

Blau sind die Bäume vor Kälte
und schwer beladen mit Warten und Erkenntnis.
Die Weisheit sprach zu ihm
legte ihm das Alphabet der Schlaflosigkeit ans Herz
und ermahnte ihn,
nicht unter blau wogenden Bäumen entlangzugehen, wenn sie weinen.
Die Weisheit sprach zu ihm
schenkte ihm die Ausdruckskraft der Farben,
während er
in einen Mantel gehüllt,
die Spuren des Wassers von Schlamm befreite
und mit gebeugtem Rücken sein tägliches Brot schleppend,
gegen den Zorn ankämpfte.
Veränderungen führten seine Hand an die Quelle
tauchten seine Wimpern in Licht.
Die Bäume, nun selbst Geiseln der Veränderung,
verfärben sich gelb vor Eifersucht
und rot vor grenzenloser Offenheit.

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ãÇ ãä ÃÍÏ ãËáäÇ
Keiner ist wie wir

Kein Volk prahlt mit seinen
Verlusten
Niederlagen
und Opfern
so sehr wie wir
derart unüberlegt, und ohne das Geringste daraus zu lernen.
Kein Volk
gehorcht seinen tyrannischen Herrschern
ehrt seine Henker
und ruft die Hölle um Beistand
so sehr wie wir.
Wir wechseln die Seiten
stellen uns meisterhaft selbst Fallen
schüren kräftig den Ofen,
bis die Nägel glühen,
die uns im Fleisch stecken und vordringen zu Mark und Bein.
Für jede Peitsche ziehen wir eine neue Haut über
wir flehen die Klinge an, ja nicht nachzugeben
klammern uns an sie mit unseren Wunden
und nachts studieren wir unsere Bestimmung ein
angeleitet von den Schriften.
Der Herrgott hat für uns Götzen erschaffen,
gegossen in Krügen und Karaffen.
Totems, die schwer auf der Seele lasten,
schmelzen uns, gefangen in einem Berg von Stahl.
Götter, die ohne Groll und Hass ihr Spiel treiben,
sperren uns in einen Raum zum Blitz,
schlagen dann die Tür zu
und vergessen uns.

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ÚáÉ ÇáãÚÑÝÉ
Der Erkenntnis auf den Grund

Dichten Nebelschwaden entspringt ein Stern
halb dunkel
halb unscheinbar leuchtend
rieselt von ihm Staub,
der sich auf Baum und Haus legt.
Ein Stern lauter als der Widerhall
hört nur sich selbst auf seiner Bahn
der Erkenntnis auf den Grund
doch nichts als fehlerhafte Materie findet er vor.

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ÇáãÇÖí
Die Vergangenheit

Sie gibt unseren Gedichten den Takt vor
sie, die Vergangenheit,
zerrieben im stählernen Räderwerk.
Auf ihr haben wir errichtet
unser schwerfälliges Dasein
voll übler Verleumdungen.
Mit ihrem grausamen Vermächtnis
haben wir uns häuslich eingerichtet
in unserer Hölle.
In blinder Begeisterung zu ihr haben wir unsere Jünger getäuscht.
Sie, die Vergangenheit, beherrscht uns
bestimmt die Regeln von Satz und Wort
geht heimliche Bündnisse mit der Sprache ein,
sobald wir unaufmerksam sind.
Die Vergangenheit tritt in Erscheinung,
stirbt
und wird Zukunft.

 

 

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